Von einer unglaublichen Nachsuche, Hunden, Fährtenwillen und
Glück, oder „wem sprudelt der Becher des Lebens so reich?“
von Christoph Runge
Es gibt wirklich unvergessliche Erlebnisse auf der Jagd, die einen bis ans Ende des Jägerlebens begleiten werden. Diese sind solche, in denen man mit anderen Gleichgesinnten etwas Außergewöhnliches erlebt hat. Von so einem Ereignis möchte ich berichten.
Ich habe das erneute Glück, nun im 2. Jahr, in Mecklenburg-Vorpommern im Forst Kaarz, einem Kernrevier von über 3000 ha zusammenhängenden Waldes, umgeben von weiteren größeren Landesforsten und privaten Forstbetrieben als Schweißhundeführer an einer für zwei Tage angesetzten Drückjagd teilnehmen zu dürfen.
Es handelt sich bei dem Wald um eine Wildnis, die seines Gleichen in unserem Land sucht, keine Straße teilt dieses Forstrevier. Man ist selbst mit dem Auto auf den Forstwegen ewig unterwegs, um von einem zum anderen Punkt zu gelangen.
Diese Jagdmöglichkeit hatte mir mein Freund Tim H. vermittelt, der als Schweißhundeführer dort in der Gegend wirkte. Ich durfte wiederum in Tims idyllisch gelegenen Gästehaus in der Meierei mit meinen beiden Bayrischen Gebirgs-schweißhunden, dem im 9. Behang stehenden mächtigen Rüden „Falko“, den ich immer von meinem Freund G.S. ausgeliehen bekomme, und meiner kleinen 6 Monate alten Hündin Seraphine, einschliefen.
Dort, in der Meierei bin ich immer wieder tief beeindruckt von der Stille der Nacht, den Weiten, dem Wildreichtum und der wunderschönen Landschaft, die sich nun im schönsten Herbstkleid, mit Sonne und Nebel präsentierte.
Das Abenteuer, von dem ich nun zu berichten gedenke, spielte sich am 2. Jagdtag ab: Mir war ein Sitz nördlich eines Wildwiesenkomplexes zugeteilt worden, den ich um 9:15 Uhr bezog. Rechter Hand blickte ich auf einen Lärchenbestand mit Himbeere, halbrechts ein Buchen-Altholzbestand, vor mir eine Senke mit einer Suhle, die nur teilweise einsehbar war und links von mir ein Fichtenaltholzbestand. Meine beiden Hunde habe ich im Fahrzeug zurückgelassen und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Zu meiner Linken, weit endernt, war ein Jäger aus der Lüneburger Heide mit seinem französischen Griffon gesetzt, von ihm bekam ich nur den schon vor dem Schnallen dauerhaft Laut gebenden Hund mit. Dieser kam dann in der Tat – anhaltend und sinnlos Laut gebend - bereits einige Minuten nach 10 Uhr in meine Gegend und da ich ihn schon vom Vortage kannte, bestätigte sich meine Annahme, das sein Verhalten vor allem dazu beitragen würde, Wild von mir fern zu halten. So umrundete er meinen Stand mehrmals, um sich dann, weiterhin dauerhaft Laut gebend, nach Westen zu endernen. So richtete ich mich gemütlich ein, schaute nach vorne und hing meinen Gedanken nach.
Kurz vor 11 Uhr vernahm ich in meinem Rücken – vermeintlich - das Rauschen eines streichenden Kolkraben, das aber nicht vorüberzog, im Gegenteil immer deutlicher wurde. Ich drehte mich auf dem Sitz um und sah dort eine gröbere Sau, die völlig abgehetzt laut atmend auf mich zu zog. Vorsichtig erhob ich mich, langsam drehend und ließ sie an meiner Linken passieren und bemerkte, dass sie auf der, so meinte ich, Hinterhand lahmte. Keine Frischlinge, die folgten. Also entschloss ich mich, ihr den Schuss anzutragen. Ich ging in den Anschlag und habe dabei meinen Linken Fuß auf einen der – zugegebenerweise schon zuvor von mir bemerkten – etwas morschen Halbrundlinge gestellt und just als ich den Schuss abgeben wollte, brach genau dieser ein. Der Schuss löste sich und ging hoch über die Sau hinweg!
Durchrepetierend versucht ich ihr einen zweiten Schussanzubringen, der aber fehlte, den dritten wurde ich nicht mehr los, da ich, für mich rätselhaft, einen Laufklemmer hatte. Ich konnte ihr nur bei der etwas beschwerlichen Flucht nach rechts in den hohen Buchenbestand zusehen, bis sie meinen Blicken entschwand. Etwa eine halbe Stunde später hörte ich aus der Richtung, in der die Sau geflüchtet war, heftigen Standlaut zweier Hunde, die auf „meine“ Sau gestoßen sein müssten. Sie haBe sich offensichtlich nicht so weit von mir endernt eingeschoben. Die Bail jedoch endernte sich, ohne dass ein erlösender Fangschuss zu hören war. Das Geläut erstarb zuletzt in deutlicher Endernung von mir. War die Sau den Hunden entkommen?
Man kann sich meinen Ärger über mich und meine Selbstvorwürfe vorstellen, mit denen ich mich die verbleibenden eineinhalb Stunden bis zum Ende der Jagdzeit herumquälte. Dann packte ich meine Sachen, baumte ab und inspizierte meinen angerichteten „Salat“: Ich entdeckte etwas Wildbretschweiß vor der Stelle, an dem die Sau meine 2. Kugel hätte bekommen können. Also war meine Annahme richtig, sie war bereits irgendwo getroffen, als sie bei mir ankam. Von dort zog ihre Fährte in die Suhle und dann über einen Wechsel in den Buchenbestand… .
Ich macht mich zu meinem Wagen auf, erlöste Falko und Seraphine und ließ beide um den Wagen herum auslaufen. Ich bereitete mich auf anstehende Suchen vor, Falko bekam seine
Schutzweste umgelegt und ich wartete auf den mich anstellenden Gruppenführer. In unserer Gruppe hatten wir zwei Suchen: Mein Nachbarjäger (der mit dem waidlauten Griffon) meldete eine Kontrolle auf einen Frischling an und ich meine – offensichtlich von mir gefehlte – kranke Sau. Wir bekamen die Freigabe zu den Suchen vom Revierleiter A.K.
Der Gastjäger, dessen Schuss ich kontrollieren sollte, bot sich an, mich auf den Suchen zu begleiten. Beide Hunde, die ich inzwischen aus dem Auto gelassen hatte, wurden wieder hinein befördert, wir fuhren zum Nachbarstand und nach einer ergebnislosen Vorsuche nahmen wir mit Falko die Fluchtfährte des Frischlings auf, die sich recht gut im Moos abbildete.
Diese führte an meinem Stand vorbei (ich hatte den Frischling nicht bemerkt!!), wo sie vermutlich die Fluchtfährte „meiner“ Sau kreuzte. Falko markierte diese andere Fährte nicht, nach gut 500 m ohne Pirschzeichen brach ich die Kontrolle an einem Forstweg ab. Wir hatten keine Hinweise für einen Treffer! Wir kehrten zu den Fahrzeugen zurück und fuhren wiederum zu meinem Stand zurück. Dort ließ ich Falko vorsuchen, der recht zügig Interesse an der Fährte bekundete. Ich ließ ihn, als er mir die Fährte zeigte, die sich deutlich im Schlamm der Suhle abbildete, rückwärts suchen und sieh da, Schweiß auch vor meinem ersten und meinem zweiten, ebenfalls missglückten Anschuss. Die Sau war in der Tat bereits getroffen an mir vorbei geflüchtet!
Bei Falko handelt es sich um einen wirklich erfahrenen alten Rüden, der weiß, was er zu tun hat. Man lässt ihn am besten seine Arbeit machen, die Kunst bei ihm ist es, ihn nicht zu stören, oder bei der Arbeit zu behindern. Ich wendete Falko auf der Fährte, gab ihm mit dem Kommando „Such verwund“ nun den vollen Riemen. Er folgte der Fährte, in der sich vorerst nur abgespritzter Matsch aus der Suhle befand, Schweiß konnte ich nicht erkennen.
Mit meinem Begleiter im Schlepptau zogen wir durch das Buchenaltholz vorbei an quer liegenden Baumstämmen. Es zeigte sich, dass die Sau ein sehr typisches Fährtenbild präsentierte: Der linke Hinterlauf war immer tiefer, als der rechte in den weichen Waldboden eingedrückt. Ich vermutete daher (wie sich später herausstellen sollte zu Unrecht), dass es sich um einen Laufschuss handele. Dieses Fährtenbild sollte mir dennoch im späteren Fährtenverlauf eine Hilfe sein, da das Stück immer weniger Schweiß verlor. Nach gut 300 m kamen wir in den Bereich, in dem die Sau von den beiden Stöberhunden erstmalig gestellt worden war. Man sah im Laub die „Kampfspuren“, und im Verlauf dann die Stelle, wo die Hunde von der Sau abließen. Hier fanden wir den ersten Schweiß zur Bestätigung, dunkel roter Wildpretschweiß, getropft. Offensichtlich hatte sich die Wunde im Zuge der Bail wieder geöffnet. Wir zogen weiter mäandernd durch den Buchenwald bis wir zu einem quer zur Fährte verlaufenden Forstweg kamen. Ich blickte auf meine Fährtenaufzeichnung: Wir hatten nun 1,4 km „auf der Uhr“. Ich schaute meinen Begleiter Kalle S., der mir am Anfang sagte, er habe noch einen Termin und könne mich maximal eine Stunde begleiten, an: Ich bedeutete ihm, dass das hiersicher ein schwierige und lange Fährtenarbeit werde, die Sau sei aufgemüdet worden, erfahrungsgemäß müsste man sicher mit einem weiteren Kilometer Fährtenarbeit rechnen, bevor sie sich erneut in ein Wundbett begeben würde. Das würde sicher seinen zeitlichen Rahmen sprengen. Ich wolle den Revierleiter anrufen und um weitere Unterstützung bitten.
Anhand meiner Wegaufzeichnung schilderte ich Kalle den Rückweg zu seinem Wagen. Derweil lag Falko fest im Riemen und wollte weiter. Ich laschte ihn mit seinem Schweißriemen an einen Ast einer alten am Wegesrand stehenden Fichte fest und erwartete die Rückmeldung, die zügig eintraf. Revierleiter K. bedeutete mir, dass ich vom Bundesforstbeamten Till S. Unterstützung erhalten werde, was sich später als Glücksfall herausstellen sollte und mich sogleich sehr erfreute (ich kannte ihn schon vom Vorjahre und gestrigen Tage als freundlichen, kompetenten „Ansteller“, und wir hatten uns schon angefreundet). Falko kam in den 15-20 Minuten, die wir auf Till warten mussten, immer mal wieder von der Fährte zurück und schaute mich fragend an, warum es denn nicht weitergehe… .
Kalle hatte derweil seinen Wagen gefunden und kam an mir vorbeigefahren, wünschte mir noch durch die geöffnete Scheibe ein herzliches Waidmannsheil zu und rauschte davon. Da Stand ich nun, etwas in Sorge um die Zeit, die uns noch bleiben würde, da die Tage, nun Anfang November merkbar kürzer wurden, das Laub jedoch noch an den Bäumen hing und somit die Sicht sich schnell einschränken würde. Die Waffe am Baum gelehnt, den ungeduldigen Hund hinter mir mich mit Unverständnis anschauend, wartete ich auf Till. Dank der nun auch in diesen entlegenen Waldecken einziehenden Ortungstechnologien war ich mir recht sicher, dass er mich auch in der Tat finden würde. Und in der Tat, zunehmend schälte sich das Geräusch eines fahrenden Wagens aus der Stille des herbstlichen Waldes und dann erblickte ich schon meinen neuen Begleiter.
Aus dem Wagen entstieg Till, voll in Nachsuchenausrüstung gekleidet, mit einem freundlichen, Optimismus ausstrahlenden Lächeln auf dem Gesicht, er wolle sich noch eben fertig machen. Ich bat ihn, seine Waffe mitzuführen, da bei dieser offensichtlich noch recht beweglichen gröberen Sau jede mit Umsicht geführte Büchse von besonderem Wert sei. Till erbot sich zudem, seine mit im Auto wartende Wachtelhündin „Fichte“ nachzuführen, was mir angesichts der zu erwartenden Probleme als sehr sinnvoll erschien, insofern stimmte ich mit einem guten Gefühl zu. Es gab für mich jedoch eine Sorge, die mich etwas plagte: Ich hatte mit Falko einen echten Rüden am Riemen, meine Erfahrungen bei anderen Suchen waren insofern bei Vorsuchen mit fremden Hündinnen gemischt. Hatte er die Wahl zwischen Beute oder Hündin, schlug das Pendel fast immer Richtung Hündin aus. Des Öfteren musste ich ihn zurücknehmen, nachdem er sich erst zu überzeugten hatte, dass die fehl-vorsuchende Hündin nicht mehr da war und es sich daher anbot, vielleicht doch die Krankfährte zu arbeiten. Insofern war ich sehr gespannt, wie das nun hier laufen würde. Vielleicht würde doch durch Futterneid sich dieses Mal das Pendel in Richtung Beute bewegen?
Nachdem ich meinem Rüden Wasser angeboten hatte und Till und ich uns gegenseitig versicherten, wir seien bereit, gab ich Falko den Riemen frei. Dankbar nahm dieser die Fährte wieder auf. Das erfreute mich nun doch sehr, dass er die „Beute“ der Hündin vorzog!
Wir verließen den Fichten-Altholzbestand und tauchten in einen lichten Lärchenbestand mit ca. 30-jährigen Bäumen ein, der in der Fläche mit niedrigem Himbeer- und auch Brombeerkraut bewachsen war. Vorsichtig suchte Falko auf einer Rückegasse weiter, jeden Tritt mit Bedacht wählend. Pirschzeichen vermochte ich nicht sicher auszumachen, überall leuchteten mir Blätter mit roten Farbklecksen entgegen, wie sie im Herbstlaub so typisch sind.
Waren wir noch auf der Fährte? Da kam von Till die erlösende Bemerkung „Schweiss“, das sollte sich im Fährtenverlauf immer wiederholen, dass wir uns abwechselnd die Bestärkung zurufen würden, wir seien noch richtig. Hier und da hielt Falko inne und bewindete ein Ästlein oder Himbeerstrauch in etwa 30 cm Höhe. Ab und zu kam ein anerkennendes Lob von hinten, was mich erfreute. So spulten wir die Strecke ab, kamen in einen jüngeren Buchenbestand zu einer Brombeerinsel, Falko wurde langsamer und aufmerksamer, die Spannung stieg, ich nahm die Waffe von der Schulter – doch die Sau hatte diesen Bunker schon verlassen.
Falko arbeitet konzentriert an vollem Riemen und Till und Fichte folgten, ohne dass es zu irgendwelchen Irritationen, weder bei uns Hundeführern, noch bei den Hunden, kam. Die Bestände wechselten, immer wieder konnte man, wenn länger kein sichtbarer Schweiss zu finden war, sich an dem Fährtenbild der gesuchten Sau vergewissern, dass wir noch auf der gerechten Fährte liefen.
Wie wir so weiter zogen, kamen mir Gedanken und Erinnerungen. Einerseits an Geschichten aus Afrika, wo die einheimischen Jäger es verstehen, anhand von staubtrockenen Fährtenbildern ohne Hund dem kranken Wild über Stunden und Kilometer zu folgen – was für eine Kunst! Andererseits an meinen ersten BGS-Rüden „Kasimir“, mit dem ich mit einer außergewöhnlichen, wildscharfen Labradorhündin eines guten – mittlerweile verstorbenen - Freundes ebenso unkompliziert zusammenarbeiten konnte – manche Problemsuche, bis hin
zu einem Gebrächschuss, konnten wir gemeinsam lösen…
Was mich mit zunehmender Fährtenlänge immer mehr verwunderte, war, dass die Sau nicht
ein einziges Wundbett annahm, nachdem sie sich doch recht schnell in meiner Nähe
eingeschoben hatte. Lag ich mit meinem Verdacht eines Laufschusses richXg? Dennoch, die
Fährte war unverkennbar im Laub: hinten Links wurde tiefer eingegriffen als rechts. Till gab mir
zwischenzeitlich zu bedenken, dass Schweiß abgestreift wurde oder eben tropfte und dass die
Sau anscheinend ohne größere Probleme auch
größere liegende Baumstämme überfiel.
Beständig ging die Fährte nach Norden, die kranke
Sau hatte wohl ein Ziel, da sie sich und uns keine
Pause gönnte. Eine Suhle mit einem Moorgebiet
wurde einfach passiert. Falko lag weiter fest im
Riemen. Mich plagte zunehmend ein schlechtes
Gewissen meiner kleinen 6-monatigen Hündin
gegenüber. Diese saß nun schon viele Stunden
fest im Land Rover.
Während einer kurzen Pause auf einem der von
uns gekreuzten Forstwege bot mir Till an, einen
weiteren befreundeten Forstbeamten, Renken H., herbeizurufen, der sich meinen Schlüssel abholen und sich meiner Seraphine annehmen
könne, die nun bis auf eine kurze Unterbrechung seit 09:00 Uhr für über 6 Stunden im Wagen
ausharrte. Das Angebot nahm ich dankend an. Till gab ihm – der neuen Technologie sei gedankt
– eine „dynamische Standortfreigabe“ in einem der Messanger Dienste, ohne die wir uns unser
Leben heutzutage kaum mehr vorstellen können. So konnte sich Renke ein Bild von unserer
schnell wechselnden Lage machen und der Plan war, dass er uns auf einem der Forstweg
treffen solle. Wie der Zufall es so will, dieses schlechte Gewissen der Seraphine gegenüber
sollte noch unsere Rettung werden, doch davon später.
Die Gegend wurde steiler, als wir in ein hügeliges Endmoränengebiet eintauchten. Wir hatten
nun gut 3,5 km Fährtenarbeit hinter uns. Gekreuzte Forstwege markierten wir mittels
Signalbänder, nun ging es steil bergab und vor uns lag ein Feuchtgebiet mit 2 Suhlen in einer
tiefen Senke. Halb links schloss sich ein „Schlehenbunker“ an, wie sie gerne von Sauen
angenommen werden. Bieten sie doch häufig eine nur schwer einnehmbare Festung. Falko
wollte dort hinein.
Ich bat Till diesen „Bunker“ rechts zu umschlagen, falls die Sau ausbrechen sollte. Ich kroch
hinter Falko hinein, vor mir lag ein Kessel: leer und kalt. Dieses Kriechen in Schlehenbunker ist
immer etwas Heikles: kommt man an eine kampfbereite Sau, ist man womöglich im wahrsten
Sinne „aufgeschmissen“: Bewegen kann man sich schlecht, schießen kann, sollte der Hund vor
einem sein, unmöglich werden, ein Ausweichen schwierig. Ich weiß von einer Hundeführerin,
die in so einer Situation von einer attackierenden Sau umgerannt wurde und sich nur retten
konnte, in dem sie die Mündung der Waffe der Sau ins Gebräch schob und abdrückte… Ich
aber kannte meinen Falko, so lange er vorzieht, ist sicher keine Sau in der Nähe. Ich arbeitete
mich insofern weiter aus dem Haufen heraus und Falko zog nach links. Den Kontakt zu Till hatte
ich verloren.
Ich rief wiederholt und bekam rechts von mir dann endlich Antwort. Ich sah Till neben seinem
Hund am Boden: hier sei Schweiß rief er mir zu. Ich solle doch zu ihm kommen und von dort
aus weiterarbeiten. Seine Hündin hatte nun offensichtlich die korrekte Fährte in der Nase. Es
war somit zu einem Rollentausch gekommen. Nun gilt es alle ggf. bestehenden Dünkel vom
Tisch zu wischen: es gilt, vor allem nach so langer Riemenarbeit, an das Stück zu kommen,
koste es, was wolle. Ich hätte auch Falko nach der langen konzentrierten Arbeit eine Pause
gönnen müssen. Doch die Zeit drängte, die Dämmerung kündigte sich schon an.
Wir Vier waren nicht bereit, aufzugeben, nach all den Mühen! Hatten wir womöglich eine
weitere Krankfährte vor uns, fragte ich Till. Unwahrscheinlich sei das, entgegnete er, es sei am
heutigen Tage hier nicht gejagt worden, wir wären weit ab vom Gebiet der heutigen Jagd und
sein Hund habe, nachdem ich mit Falko in den Schlehenbunker gezogen sei, recht konsequent
geradeaus weiter gearbeitet. Für mich war es zudem eine Sache meiner Ehre, nach dem
Bockmist, den ich zu Anfang des Jagdtages gebaut hatte, diese Sau unter allen Umständen zu
bekommen! Und folgt ein Hund der gerechten Fährte, soll man ihn bloß nicht abziehen!
Insofern übertrug ich ohne zu zögern den Suchenauftrag nun auf Till und Fichte, ich reihte mich
hinten ein. Es war keine Zeit für Eitelkeiten!
Was ich jedoch nicht bedacht hatte: ich hatte es mit einem deutlich jüngeren und fitteren
Suchenpartner auf der Höhe seiner körperlichen Leistungsfähigkeit zu tun. Ich war mit meinen
fast 70 Jahren nach nun 4,5 km Suchenarbeit (Kontrolle, Rückweg und jetzigen Suche) und als
chronischer Langsam-Geher schon etwas ermüdet. Till jedenfalls folgte seiner Fichte in einer
für mich im wahrsten Sinne meinen „Atem raubenden“ Geschwindigkeit, an einem Hügel
wurde ein Widergang völlig problemlos gemeistert und als wir am Ende den Fichten7
/Kiefernbestand verließen, standen wir auf einem weiteren Forstweg auf der Kuppe eines
Endmoränenhügels, der nach Norden abfiel. Wir blickten von oben auf diesen gut 3 ha großen
Schlag, bestockt mit ca. 15-jähriger Lärche, eingebettet in einem einzigen Brombeer-/Strauch-
/Ginstergemisch, zum Teil mit über 1.5 m hohem Gestrüpp. Hier musste sich die Sau
eingeschoben haben. Das erschien auch ihr Ziel gewesen zu sein! Ich hatte den Eindruck, dass
die Sau genau wusste, dass sie hier in Sicherheit gelangen könne.
Till zögerte, er habe nicht die „Grüne Karte“, die die grenzenlose Nachsuche erlaube. Wir
stünden wohl im nachbarlichen Forstbetrieb. Er wolle lieber erst Rücksprache mit dem
Revierleiter nehmen. Zügig wurde uns dann die Freigabe erteilt.
Wir standen mit beiden Hunden am ziemlich sicheren Einwechsel in den Schlag und
überlegten, was zu tun sei: beide Hunde schnallen schien womöglich zu viel Druck für die Sau
zu sein, die Gefahr, dass sie wieder ausbrechen würde war real, angesichts unserer
Erfahrungen vom Morgen. Zu Zweit hineingehen, angesichts der Unübersichtlichkeit des
Schlages unsicher, die Gefahr bei Schüssen sich gegenseitig zu gefährden zu hoch.
In jedem Fall waren wir uns beide einig, dass angesichts des bisherigen Verlaufes und der
fortschreitenden Zeit, wir nun in der Situation „Spitz auf Knopf“ standen. Das sei unsere letzte
Chance an die Sau zu kommen!
Wir einigten uns daher, der Jugend den Vorzug zu geben:
Till solle Fichte schnallen und ihr dann folgen! Gebannt
betrachteten wir den Verlauf der Suche der
Wachtelhündin am Garmin-Handteil…
Da!! Standlaut, halb rechts vor uns keine 100 m entfernt.
Die Sau stand. Die Augen von Till leuchteten, bevor er
den Wind prüfend los zog, rief er mir noch mit einer
fühlbaren Ergriffenheit entgegen: „Das ist der Hund
meines Lebens“ und entschwand meines Blickes.
Ich zog den Forstweg der Bail entgegen auf eine kleine
Anhöhe, die es mir ermöglicht hätte, der Sau, sollte sie
den Rückwechsel annehmen, als noch eine Kugel
anzutragen.
Doch die Bail entfernte sich, es mischte sich Hetzlaut ein,
dann wieder Standlaut, so ging es für mich schier
„unendlich“ lange, die Bail entfernte sich weiter nach
Norden, ich fürchtete schon ein Ausbrechen der Sau, dann jedoch zog die Bail zurück in den
Bestand nach Osten, offensichtlich zum Rand des Schlages. Gebannt schaute ich auf den
Forstweg, an dessen Ende eine mordshohe Kanzel stand.
Nun überschlugen sich die Ereignisse: Zwei Schüsse! Till hatte sich auf die Sau lösen können.
Doch die Bail entfernte sich weiter nach Osten, mir sackte mein Herz in die Hose. Sollte alles
umsonst gewesen sein? Till hatte offenbar nicht getroffen. Plötzlich stürmte für mich völlig
überraschend eine Gestalt in Warnkleidung hinter der gut 150 m von mir endernten Kanzel
hervor, und rannte in einer für mich unvorstellbaren Geschwindigkeit den Dickungsrand
entlang den Hang hinab und entschwand meiner Sicht. Kurz darauf vielen aus dessen Richtung zwei Schüsse, beim zweiten konnte ich deutlich den Kugelschlag hören, danach Stille, kein Laut
drang mehr zu mir hoch.
Besorgt folgte ich dem Weg, er gab
mir den Blick auf die beiden in
Warnkleidung gehüllten Forstleute
frei, bei Ihnen stand Fichte. „Habt
Ihr die Sau?“ rief ich ungläubig den
Hang hinab. Von unten kam ein
fröhliches „Ja“ und da sah ich die
gestreckte Sau zwischen ihnen
liegen! Ich zog mit Falko schnell
bergab, um meinen Freunden zu
gratulieren, die mit sichtbarem
Stolz und fröhlich an unserer Beute
standen. Die Sau hatte übrigens
einen Bauchdecken-Streifschuss
erlitten, ohne den Bauch selber zu
treffen, also waidwund werden zu
lassen. Sie war insofern auf allen Läufen hochmobil und hatte das auffällige Fährtenbild
vermutlich durch Schmerzen beim Ziehen hinterlassen.
Was war, für mich nicht zu verfolgen, nun geschehen?
Till habe sich, so berichtete er mir, unter Wind und leise der Bail nähern können und sei auf
gut 2 m an diese herangekommen, habe jedoch nur seine Fichte und die Sau hören können,
Im Gestrüpp sei kein sicherer Schuss möglich
gewesen, da er nichts habe sehen können. Die Sau
habe dann versucht Reißaus zu nehmen, sei aber
von Fichte erneut gestellt worden. Als sie dann
nach Osten habe ausbrechen wollen, habe er sie
kurzzeitig gesehen und geschossen, aber nicht
getroffen. Die uns in dieser Situation rettende und
von mir gesehene „Gestalt“ war Übrigens der
wegen Seraphine hinzugerufenen Renke H., der
befreundete Kollege von Till. Dieser berichtete, er
habe sich uns geolokalisiert nähern wollen, um
meine Schlüssel zu holen und meine Hündin
Seraphine zu „retten“. Er habe sicherheitshalber seine Waffe mitgenommen und sich auf dem
Wege zu uns befunden, das Stellen der Hündin vernommen und dabei kurzzeitig überlegt, ob
er die von mir gesehene hohe Kanzel erklimmen solle, dann aber die Bail und die zwei Schüsse
gehört. Er habe von seiner Anhöhe die Sau gesehen, wie sie sich nach Osten anschickte,
auszubrechen. Daraufhin habe er sich mächtig in´s Zeug gelegt, sei den Hügel herunter
gesprintet und habe der wegflüchtenden Sau auf ca. 70 m einen Schuss „mittendrauf“ setzen
können. Worauf sie sofort zusammenbrach. Sie habe jedoch das Haupt noch angehoben,
daher habe er ihr noch einen Fangschuss hinter dem Teller setzen können, wodurch sie sofort
verendete.
Dort standen wir nun bei „unserer“ Sau, wir fünf fühlten uns wie Helden (wir drei Jäger und unsere beiden Hunde), jeder hatte seinen Anteil zu dieser außergewöhnlichen Suche beigetragen, ohne jeden von uns wäre es nicht gelungen. Renke kam sprichwörtlich aus „heiterem Himmel“ als der rettende Engel, genau zur rechten Sekunde und konnte durch seinen gezielten Schuss das drohende Fiasko beenden. Und sogar meine Welpen-Hündin Seraphine hatte ihren Anteil: Meine Sorge um sie hatte dafür gesorgt, dass Renke hinzugerufen wurde und diese Suche ein glückliches Ende nahm.
Was dann folgte, kann keiner, der nie eine solche Situation einmal selbst erlebt hat, nachvollziehen. Wir lagen uns in den Armen und gratulierten uns gegenseitig auf das Heftigste! Eine unglaubliche Spannung fiel von uns ab. Stolz und Dankbarkeit unseren Hunden und dem Schicksal gegenüber mischten sich mit einem gewissen Unglauben, dass uns dieses Husarenstück gelungen war. Unser aller unbändiger Fährtenwille hatte uns nicht aufgeben lassen, und wir hatten erlebt, dass, wenn einer von uns nicht weiter wusste oder konnte, der nächste die Aufgabe löste. Wir waren alle sichtlich ergriffen von unserem Erlebnis, dass uns nun so zusammengeschweißt hatte.
Nun galt es, die Sau aus dem unzugänglichen Gelände zu bergen: mit Unglauben sah ich Renke diese (später aufgebrochen 70 kg schwere) grobe Sau an einem Vorderlauf alleine anpacken und fast im Laufschritt gut 200 m bis zu dem Punkt ziehen, die mit seinem Pickup erreichbar war. Da im Fahrzeug alles voll bepackt war, mussten wir alle auf die Ladefläche. Wir luden die Sau mit einem „Hau Ruck“ auf, dann kamen Falko links und Fichte rechts der Sau zum sitzen und ich sollte mich in die Mitte setzen auf eine Kiste und die Hunde
trennen. Kaum hatte ich ein Bein in der Ladefläche kam es zum Showdown zwischen den zuerst friedlich koexistierenden Hunden, die mit gefletschten Zähnen aufeinander los gingen. Ich stürzte mich dazwischen um die Kontrahenten zu trennen, bezahlte das allerdings mit einem, zum Glück nicht tiefen, Biss in den Daumen. Dann kam Till dazu, der seinen Riemen eingesammelt hatte, und wir öffneten jeder eine Flasche Bier mit Renke: In weiser Voraussicht hatte er die Ladefläche mit dem wunderbar schmeckenden Hellen versorgt.
So fuhren wir eine gefühlte Ewigkeit durch den nicht enden wollenden Wald zu meiner geduldig wartenden Seraphine, die überglücklich in meinen Armen lag.
Als ich Falko und die Ausrüstung wieder in meinem Wagen verstaut hatte, fuhr ich noch zum Streckenplatz und traf dort auf meine Freunde und beide Revierleiter. Für unsere Revierleiter war das eine von vielen gelungenen Nachsuchen, die abgehakt werden konnte, für uns Drei jedoch war es eine der außergewöhnlichsten, die wir je erlebt hatten.
Mir kamen bei der Heimfahrt die Verse aus dem Jägerchor in der Oper „Der „ von C.M. v Weber in den Sinn: „Was gleicht wohl auf Erden dem Jäger Vergnügen, wem sprudelt der Becher des Lebens so reich? Beim Klange der Hörner im Grünen zu liegen, den Hirsch zu verfolgen durch Dickicht und Teich. Ist fürstliche Freude, ist männlich Verlangen, erstarket die Glieder und würzet das Mahl! Wenn Wälder und Felsen uns hallend umfangen, tönt freier und freud’ger der volle Pokal.“